Jutta Schlier

Jutta Schlier im Atelier

Meine Werke entstehen mit Acrylfarben auf Holz oder Leinwand. Von der gegenständlichen Malerei habe ich mich mit den Jahren immer weiter entfernt. So wird mir heute mit der abstrakten Darstellung eine Möglichkeit geschenkt, mich mit Farben und Linien auszudrücken, wo Worte nicht mehr oder nur noch wenig greifen.

Inspiration finde ich in der Natur. Der Blick auf die kleinen Dinge macht mir Freude, sei es ein schillernder Wassertropfen, eine Blüte, ein Blatt, auch Erlebtes oder Sinneswahrnehmungen werden ausgedrückt in Farben und Linien. Mein Malen ist intuitiv und für mich immer wieder herausfordernd. Es gibt keine Planung und auch kein fertiges Bild, das schon vor dem inneren Auge steht. Ich fange auf dem grundierten Malgrund an einer Seite an und setze Farben mit Spachtel oder Händen und arbeite mich dann vor. Die Acrylfarben trage ich pastös und lasierend auf. Es entstehen Schichten, die verdecken oder tiefer durchblicken lassen. Bewusst lasse ich dieser Entwicklung und dem Prozess des Wachsens seinen Raum. Es ist für mich immer wieder überraschend, was entsteht. Die Betrachterin und den Betrachter lade ich ein, in meine Bilder förmlich einzutauchen und so in Resonanz zu gehen. Viel Freude! Jutta Schlier


Dr. Vera Leuschner, Kunsthistorikerin, November 2017:

Liebe Jutta,

„Kunst der Ruhe“ – unter diese Überschrift stellst Du Deine Bilder. Ich sah Deine Ausstellung im Gemeindehaus in Sandershausen vor dem Konzert, aber da fand ich nicht die Ruhe zum konzentrierten Schauen. Erst einen Tag später kehrten wir an diesen Ort zurück und ließen den mit Deinen schlanken schmalen Tafeln gefüllten Raum auf uns wirken und schritten dann, die gedruckte Liste mit den Bildtiteln in der Hand, von einem Gemälde zum nächsten und konnten uns in ihre Betrachtung versenken. Die Farbenpracht und das innere Leuchten dieser geheimnisvollen Bilder ziehen den Betrachter sofort in ihren Bann. Das Tageslicht fiel durch die Fenster und bot genügend Helligkeit auch ohne die elektrische Beleuchtung. Abgesehen von wenigen Ausnahmen – zum Beispiel dem Bild Frucht des Lebens, auf dem man eine Frauengestalt (und ihren Schatten?) sieht, die die Früchte eines Baumes zu pflücken scheint: Früchte, die sonnengleich groß sind oder von ihr gereift und gleichsam voller Saft herabtropfen – abgesehen von diesem Bild also, ist Deine Malerei abstrakt. Welch ein Glück, dass die Malerei im 20. Jahrhundert abstrakt werden durfte, gelöst oder erlöst von der gegenständlichen Welt. Von nun an konnten die Maler (und Malerinnen!) allein mit Farben und Formen ihre Gefühle, Gedanken, Assoziationen, Eindrücke, Ängste, Freuden, Erinnerungen ausdrücken. Und in diesem Fahrwasser bewegst Du Dich.

Deine Bildtitel fordern den Betrachter dazu auf, sich in die meditative, spirituelle Welt Deiner Malerei hineinzudenken. Immer wieder geht es um die Darstellung atmosphärischer, kosmischer, elementarer oder religiöser Erfahrungen (zum Beispiel Terra verde, Im Feuer der Nacht, Silberstreifen am Horizont, Entflammt). Assoziationen an ein irdisches Landschaftserlebnis, an die silbrige Färbung des Himmels beim Mondaufgang oder Sonnenuntergang, an ein nächtliches Feuer werden geweckt. Und sie weisen darüber hinaus auf überirdische Vorstellungen und seelische Schwingungen, die von solchen Phänomenen ausgelöst werden. Andere Bildtitel deuten subjektive Gefühle an.
Altarbild in St. Josef Schweich
Im Bild Heimat sieht man am Boden ein nicht geschlossenes Fünfeck und denkt an Goethes Faust („das Pentagramma macht Dir Pein“), aber über dieser geometrischen Zeichnung erhebt sich eine Gestalt mit einer geradezu schmerzlich blendenden Kreisform in ihrer Mitte: Gedanken an den sehnsuchtsvoll erinnerten Ursprung des Lebens? Im Bild Inniges Geheimnis meint man eine menschliche Büste zu erkennen, karmesinrot, von dunklen Zweigen umrankt, die uns für immer im Ungewissen lässt, was in ihr vorgeht.

Viele Tafeln besitzen eine klare religiöse Botschaft, die Dir als Theologin besonders am Herzen liegt: z.B. Stairs to Heaven, Ein Platz an der Sonne (ist hier das „Licht der Welt“, aus dem Johannesevangelium gemeint?). In Geschenk der Ruhe oder in Der Weg deutet die Kreuzform auf den christlichen Inhalt. Der Titel des Gemäldes Himmelsbrücke könnte an die Geschichte aus dem Alten Testament von Jacob und der Himmelsleiter erinnern, aber mit den grünen Halmen, die hinter einer transparenten Scheibe emporwachsen, findest Du dann eine ganz eigene Bildsprache. Hier wie in allen Deinen Bildern schwingt immer ein transzendentes symbolisches Moment mit.

Dies gilt auch für die Vierergruppe In jedem Anfang steckt ein Zauber, die vielleicht das Wachstum vom Dunkel ins Licht, vom Samenkorn zur Pflanze symbolisiert oder noch viel umfassender: von der Schöpfung Gottes erzählt. Der Titel erinnert freilich an das Gedicht „STUFEN“ von Hermann Hesse:

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben …“

Ein eher diesseitig heiteres Bild scheint sich dagegen hinter dem Titel Fügung zu verbergen, das durch seine bunte, kaleidoskopartige Quaderung, in die sich ein diagonales Element schiebt, pure Lebensfreude ausdrückt. Geheimnisvoll wie die Deutung vieler Deiner Bilder ist auch ihre Technik und ihr Format. Du wählst schmale Hochformate, als ob sie eine Verbindung zwischen Erde und Himmel schaffen könnten. Als Bildträger wählst Du Holztafeln, um auch die Maserung als Inspirationsquelle zu nutzen, trägst die Farben mit Tüchlein und Schwämmen auf und bringst dann (oder schon zuvor?) zeichnerische Strukturen hinein. Manchmal sind es organische Formen, manchmal geometrische. Eine besondere Rolle spielen die Kreis- und Kugelformen, die aufgrund ihrer Durchsichtigkeit an Blasen, Ballons oder Wassertropfen erinnern, aber letztlich auch immer auf die Kugelgestalt der Erde zurückverweisen.
Jutta Schlier beim Arbeiten
Transparente Formen durchdringen sich mit plastischen, kubistischen oder mit flachen geometrischen Mustern, stark farbigen Streifen, Zickzackformen. Mithilfe ausgeklügelter Malmethoden erhalten die Bilder oft eine starke räumliche – und damit auch geistige – Tiefe.

In jüngster Zeit hast Du Dich von gotischen Kathedralen, ihren hochstrebenden Pfeilern, ihren Spitzbogen und darüber gespannten mächtigen Gewölben, und von ihren funkelnden Glasfenstern inspirieren lassen (zum Beispiel Die Kathedrale 2). Sicher wird Dich diese „diaphane“ Architektur noch länger beschäftigen, denn das war auch Deine erste Bemerkung in einem Gespräch, das wir beide führten: das beglückende Gefühl und die innere Harmonie, die die farbigen Kirchenfenster in Dir auslösen.

Ich wünsche Dir weiterhin viel Glück und viel Segen!

Liebe Grüße
Vera

Zierenberg, November 2017 | Dr. Vera Leuschner | Kunsthistorikerin